Offener Brief der BI ONO! an den Leiter der Wahlkommission
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Nach Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses des Bürgerentscheids ist ONO! von vielen Darmstädter Bürgern angesprochen worden, weil ihnen Folgendes merkwürdig „aufgestoßen" ist:
- Die Zahl der ungültigen Stimmen (1229) war sechs mal so hoch, wie die 204 Stimmen, die zur Erreichung des Quorums beim Bürgerentscheid gefehlt hatten.
- In den verschiedenen Wahlbezirken variierte die Anzahl der ungültigen Stimmen sehr stark (von 6 bis zu über 60).
Für uns steht außer Zweifel, dass alle Wahlvorstände nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Bei der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses räumte der Leiter des Wahlamts, Herr Österling, jedoch ein, dass die Wahlvorstände unterschiedliche Bewertungskriterien für die Gültigkeit einer Stimme angelegt haben könnten. Das Bundeswahlgesetz definiert in §39, Abs. 1 ungültige Stimmen so:
„Ungültig sind Stimmen, wenn der Stimmzettel
- nicht amtlich hergestellt ist,
- keine Kennzeichnung enthält,
- für einen anderen Wahlkreis gültig ist,
- den Willen des Wählers nicht zweifelsfrei erkennen läßt,
- einen Zusatz oder Vorbehalt enthält."
Das entsprechende Landesgesetz dürfte ähnlich lauten. Entscheidend ist, dass der Wählerwille zweifelsfrei erkennbar ist.
Beispiel: Wenn Müller und Schulze zur Wahl stehen und der Stimmzettel hat bei Müller ein Kreuz und den Zusatz: „Ihr seid doch alle Pfeifen", dann ist das ein Vorbehalt nach Punkt 5. Die Stimme ist ungültig. Der Zusatz „Müller ist der Beste" darf aber nicht dazu führen, dass der Stimmzettel ungültig wird.
In ähnlicher Weise sollte beim Bürgerentscheid zur Nordostumgehung verfahren werden:Wenn jemand, durch die etwas komplizierte Fragestellung verunsichert, kein Kreuz gemacht hat und stattdessen auf dem Stimmzettel vermerkt hat: „Ich will diese Straße nicht", dann ist durch diesen Zusatz der Wählerwille eindeutig erkennbar. Die Stimme ist gültig. Allgemeine Bemerkungen wie „Straßen sind doof" oder „Ich finde Straßen toll" sind hingegen ungültig.
Um dem „merkwürdige Gefühl", das viele Bürger bei diesem äußerst knappen Ergebnis haben, entgegenzuwirken, schlagen wir vor: Das Wahlamt macht die Kriterien, nach denen die Stimmen gültig oder ungültig gewertet werden, öffentlich. Danach werden die ungültigen Stimmen vom Wahlvorstand nochmals durchgesehen; es ist ja einer der Vorteile einer Wahl mit Stimmzettel, dass man in solch strittigen Fällen noch einmal nachzählen kann. Man sollte das dann auch nutzen, zumal sich der Aufwand dafür in Grenzen hält.
Wir sind wiederholt dazu aufgefordert worden, gegen diese Wahl Rechtsmittel einzulegen. Das wäre grundsätzlich möglich, da beim Bürgerentscheid keine Fristen gesetzt sind. Wir geben aber einem anderen Weg den Vorzug und bitten Sie daher, im Sinne eines fairen demokratischen Prozesses, alle ungültigen Stimmen in der oben genannten Weise nach einheitlichen Kriterien neu bewerten zu lassen, so dass kein Bürger das Gefühl haben muss, seine Stimme wäre wegen eines formalen Fehlers nicht in seinem Sinne gewertet worden. Dies Vorgehen käme auch Ihrer am Wahlabend geäußerten Einschätzung entgegen, dass ein klares, eindeutiges Ergebnis der Sache dienlicher gewesen wäre.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stefan Nold Heidrun Wilker-Wirk Sabine Crook